Cultural Policy Lab

Das Cultural Policy Lab ist ein interdisziplinäres Reflexions-Format, das ausgehend von dem theaterwissenschaftlichen Master- Forschungsseminar „Institutionelle Ästhetik“ an der LMU München entwickelt wird. Das Cultural Policy Lab verfolgt das Ziel, innerhalb der traditionsreichen Universitätsstruktur einen dynamischen Think- and Do-Tank aufzubauen, in dem die physischen und ideellen Räume der Universität ausgehend von kulturpolitischen Fragen neu gedacht werden.

Wir leisten Pionierarbeit für den Forschungstransfer in den Kunst- und Geisteswissenschaften und gestalten neue Allianzen. In Kooperation mit Partnern aus Kulturverwaltung, Kulturpolitik, Kunst und Wissenschaft entwickeln wir nachhaltige Strategien für die Kultur- und Kreativwirtschaft.

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moc.balyciloplarutluc@ofni

Wir bedanken uns bei den Förderern, die die Entwicklung der ersten Schriftenreihe des Cultural Policy Labs möglich gemacht haben:

Projektleitung: Christian Steinau, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-Maximilians-Universität München

Kontakt: Ludwig-Maximilians-Universität München, c/o Nachwuchsforschungsgruppe Kreativität und Genie, Edmund-Rumpler-Str. 13b, Raum 176, 80939 München, Germany (c.steinau(at)lmu.de)

Mitarbeit: Johanna Vocht und Christina Kockerd

Design: Studio Lob (www.lob.tf)

Code: Lukas Marstaller (www.bnag.cc)

Copyright: Cultural Policy Lab, 2021

Impressum & Disclaimer

Anschrift: Cultural Policy Lab, c/o Nachwuchsforschungsgruppe Kreativität und Genie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Edmund-Rumpler-Str. 13b, Raum 176, 80939 München

E-Mail: info(at)culturalpolicylab.com

Verantwortlich für den Inhalt: Ludwig-Maximilians-Universität München, Christian Steinau, Projektleiter des Cultural Policy Lab

Das Cultural Policy Lab ist ein Forschungs- und Transferprojekt, das im Wintersemester 2019/20 aus dem theaterwissenschaftlichen Master Forschungsseminar Institutionelle Ästhetik an der LMU München entwickelt wird. Es ist keine Einrichtung der LMU München, sondern ein vom Wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Steinau geleitetet Forschungs- und Transferprojekt.

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Expanding Perspectives – Im Austausch mit Akteur:innen der Kulturpolitik Index

Mehr Wasserstoff für die Kunst

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Rüdiger Kruse ist Mitglied des Deutschen Bundestags, stellvertretendes Mitglied im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung und Mitglied des Kunstbeirats. Der Hamburger Abgeordnete war von 2009 bis März 2018 ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss und Berichterstatter für Kultur und Medien. Als Haushaltspolitiker setzte sich Kruse für die ergebnisoffene Projektförderung des Haus der Kulturen der Welt (HKW) ein. Wir sind Rüdiger Kruse sehr dankbar, dass er sich die Zeit für ein ausführliches Gespräch über die Kulturpolitik des Bundes und seine Arbeit im Bundestag nahm. Das Gespräch wurde am 16. September 2020 in seinem Büro im Bundestag geführt und im Anschluss transkribiert.

Kultur ist kein schmückendes Beiwerk, sondern trägt uns in die Ewigkeit ein

Christian Steinau: Lieber Herr Kruse, vielen Dank für die Gelegenheit mit Ihnen zu sprechen. Zu Beginn würde ich Sie unseren Lesern und Leserinnen gerne näher vorstellen. Was ist ihr persönlicher Zugang zur Kultur?

Rüdiger Kruse: Zur Kultur bin ich letztendlich durch Erziehung gekommen. In der bürgerlichen Erziehung kriegt man so lange Kultur vorgesetzt bis es schmeckt. Für mich selbst ist Kultur im Wesentlichen das, was uns am meisten von anderen Lebewesen unterscheidet. Wenn man höher entwickelte Lebewesen nimmt, sind wir von der DNA relativ ähnlich. Andere Tiere bilden auch Staaten, legen Vorräte an, führen Kriege oder Auseinandersetzungen. Katzen können grausam sein. Das alles ist noch kein Unterschied. Aber Pandabären dichten keine Haikus und es gibt auch kein Tier, das Opern schreibt. Das ist es, was den Menschen ausmacht und ihn unterscheidet. Von daher ist Kultur absolut wesentlich. Sie ist kein schmückendes Beiwerk, sondern das, was uns unterscheidet und das, was uns in die Ewigkeit einträgt.

Steinau: Die staatliche Förderung von Kunst und Kultur wurde im Rahmen der kulturpolitischen Debatten der letzten Jahrzehnte mit immer neuen Rechtfertigungen verbunden. „Ging es zunächst vor allem um eine staatliche Kulturpflege im engeren Sinn (Hegen und Pflegen des Schönen, Wahren und Guten), wird seit der programmatischen Neuorientierung der 1970erJahre (Kultur für alle) die Kulturpolitik zunehmend mit anderen – außerhalb der Kulturliegenden – Motiven verknüpft (insbesondere aus der Sozial-, Bildungs-, Umwelt- und Entwicklungspolitik).“1 Wie stehen Sie zu dieser Form einer „aktivierenden Kulturpolitik“ 2 und wie würden Sie in Anlehnung oder Abgrenzung dazu ihr Verständnis von Kulturpolitik beschreiben?

Kruse: Ich finde es wichtig, Künstler und Menschen zu aktivieren, dass sie sich für Kunst interessieren. Was ich nicht richtig finde, ist die Idee, Kunst und Kultur hätten einen Staatsauftrag. Das hat es bei uns schon gegeben. In früheren Zeiten, eigentlich immer, war Kultur auch eine Verherrlichung der jeweils Herrschenden. Später wurde Kultur mit einer konkreten Ideologie aufgeladen, z.B. im Nazi-Deutschland oder der DDR. Das sollten wir tunlichst vermeiden. Kultur hat nicht den Auftrag etwas politisch Gewolltes, wie z.B. Integration, Nachhaltigkeit oder Klimaschutz zu bebildern. Die Politik sollte Künstlern ihre Ziele nicht unter der Bedingung „bringt das jetzt voran, sonst kriegt ihr keine Förderung“ vorschreiben. Vielmehr hat der Staat die Aufgabe, Kultur durch die Schaffung guter Rahmenbedingungen zu aktivieren. Das kommt aus der bürgerlichen Vorstellung von Kunst und Kultur, die frei zu sein hat. Das gilt, wenn diese auch gelegentlich oder häufiger gegen Schienbeine tritt. In der bürgerlichen Vorstellung von Kunst und Kultur spielt teilweise auch ein romantischer Freiheitsbegriff vom Künstler mit hinein. Deswegen gibt es weniger Vorgaben als anderswo. Wenn es diese Freiheit gibt, werden Kunst und Kultur sowieso reflektieren was gesellschaftlich relevant ist. Und zur normativen Agenda: Es gibt ja Gründe, warum ich kein Sozialdemokrat bin. Die genannten normativen Ansätze sind mir bekannt. Der wesentliche Unterschied zu den Unionsparteien ist, dass niemand der Kultur so viel Geld wie die Union gibt und niemand so wenig Bedingungen stellt. Das gilt für die Länder wie den Bund gleichermaßen.

Steinau: Hat sich ihr Verständnis von Kulturpolitik über die Zeit im Haushaltsauschuss verändert?

Kruse: Natürlich hat sich mein Verständnis von Kultur durch die politische Arbeit erweitert. Man nimmt Kultur nichtmehr ausschließlich als Empfänger oder Konsument wahr, sondern ist in gewisser Weise in den Gestaltungsprozessen involviert. Das bedeutet im Wesentlichen, Finanzmittel zur Verfügung zu stellen oder rechtliche Rahmenbedingungen zu verändern. Indem man versucht, dass die Kulturproduktion besser klarkommt, kommt man natürlich mit den Akteuren in Kontakt. Und der Kontakt bedeutet, dass man mehr Verständnis für die Künstler und Intendanten erhält.

Kulturpolitik des Bundes und das haushaltspolitische Königsrecht des Parlaments

Steinau: Seit über 20 Jahren ist der Bund als kulturpolitischer Akteur nicht mehr wegzudenken. Wie hat sich die Kulturpolitik des Bundes während ihrer Zeit als Kulturpolitiker entwickelt?

Kruse: Unter dem Kulturstaatsminister Bernd Neumann ist der Wandel gelungen, dass es nicht mehr diese Frontstellung zwischen Bund und Ländern gab. Anstelle sich auf die Position „Kultur ist Ländersache“ zurückzuziehen, hat man ein Miteinander gefunden. Bernd Neumann nannte das immer „im Bund mit der Kultur“. In den ersten Jahren, in denen ich im Bundestag war, hatten wir noch negative Haushalte. Da mussten wir sehen, wo das Geld herkam. Da war auch bei den Ländern und Kommunen ein Interesse da, dass der Bund sich finanziell beteiligt. Das haben wir so geschafft, dass wir bis heute den Föderalismus nicht erwürgt haben. Das ist mir auch wichtig. Der Kulturetat hat sich in dieser Zeit in etwa verdoppelt. Mit der Zeit ist der Parlamentsanteil in neuen Projekten auch stetig gewachsen. Wir müssen aber auch weiterhin darauf achten, dass der Bund mit seinen Maßnahmen nicht zu einer Zentralisierung beiträgt.

Steinau: Wie haben sich die Ausgaben für Kunst und Kultur in den letzten Jahren entwickelt und was bedeutet die aktuelle Corona-Pandemie für die staatliche Kulturförderung?

Kruse: Kurzfristig hat die aktuelle Situation zu einer Erhöhung der Mittel geführt. Staatsministerin Grütters hat eine Milliarde zur Verfügung gestellt bekommen. Das ist bezogen auf ihren Grundetat sehr viel. Bezogen darauf, wer da alles betroffen ist, ist das nicht so viel. Wir müssen mit erheblichen Veränderungen rechnen. Die staatlichen Einrichtungen werden die Pandemie überleben. Es stellt sich aber die Frage, ob die Freien Träger und auch die selbstständigen Künstler die Zeit bis zu einem möglichen Normalbetrieb überleben und welche Hilfsmaßnahmen wir da machen können. Das ist nicht einfach. Aber man muss auch ganz klar sagen, dass Frau Grütters mit ihren Leuten sehr engagiert nach Lösungen sucht. Die Frage ist, ob wir tatsächlich zu einem Status quo ante kommen werden oder ob sich dauerhafte Veränderungen einstellen. Zum Beispiel könnten die Kinobesuche nicht wieder das vorherige Niveau erreichen, was wiederum zu einem neuen Kinosterben führen würde. Ähnliches gilt für die Clubszene. Wir wissen noch nicht, wie sich die Situation entwickelt.

Steinau: Was ist die Aufgabe eines Hauptberichterstatters für Kultur im Haushaltsauschuss und wie haben Sie dieses Amt interpretiert?

Kruse: Berichterstatter haben zunächst die Aufgabe den jeweiligen Etat detaillierter zu beobachten, zu überprüfen und wiederum im Haushaltsauschuss zu berichten. Es ist die Frage, was man sonst noch aus der Funktion macht. Das Parlament hat das Königsrecht des Haushalts. Das ist der Regierung nicht immer angenehm oder manchmal auch nicht bewusst. In der Öffentlichkeit wird das oft so gesehen, dass alle Initiativen und Entscheidungsmacht von der Regierung ausgehen. Es gibt aber keinen Cent, der nicht durchs Parlament gegangen ist. Wir haben das Haushaltsrecht. Das betrachte ich auch als einen Gestaltungsauftrag. Das bedeutet, dass wir nicht nur schauen, ob bestehende Förderungen erhöht oder angepasst werden müssen, sondern dass man eigene Projekte aufnimmt und aus dem Parlament heraus auf die Schiene bringt.

Steinau: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen dem Haushaltsauschuss und dem Ausschuss für Kultur und Medien? Und welche Rolle spielt die Kulturstaatsministerin?

Kruse: Das Verhältnis zum Fachausschuss und unserer AG war gut. Die Kulturpolitiker haben gesehen, dass sie bei der Setzung neuer Projektschwerpunkte über den Haushalt Unterstützung haben. Normalerweise sind die Kulturpolitiker darauf angewiesen, dass die jeweiligen Minister das Thema übernehmen. Insofern war das eine fruchtbare Zusammenarbeit. Konkret haben wir immer vor der sogenannten Bereinigungssitzung, also der abschließenden Sitzung eines Haushaltsausschusses im Aufstellungsverfahren eines Haushaltsplanes, das Haushaltsthema durchgesprochen. Auch die Zusammenarbeit mit der Kanzleramtsebene war unterm Strich gesehen fruchtbar. Natürlich ist das nicht immer konfliktfrei. Es gibt unterschiedliche Prioritäten und selbst für Haushälter ist das Geld endlich. Wir haben es aber all die Jahre so gehalten, dass wir Gelder aus dem Kulturbereich nicht an einer Stelle weggenommen haben, um sie woanders auszugeben. Das ist eigentlich der Klassiker. Wir haben zusätzliche Mittel freigemacht und in der Regel auch noch die Wünsche der jeweiligen Staatsminister oder der Staatsministerin erfüllt. Z.B. bei der Kinoförderung war das ein Thema. Sowohl Bernd Neumann als auch Monika Grütters haben Erhöhungen als notwendig angesehen. Das haben wir dann immer gemacht. Unter dem Strich gesehen, kann sich keiner beschweren. Dass es zwischendurch auch mal ordentlich geknallt hat, das gehört zur Politik dazu.

Steinau: Können Sie ein Beispiel für einen solchen Konflikt geben?

Kruse: Hemingway hat gesagt, das Geheimnis eines guten Lebens ist eine bewusste Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis. Projekte wie zum Beispiel beim Haus der Kulturen der Welt (HKW) waren am Anfang umstritten. Das Haus hat gesagt, das ist zu viel Geld. Am Ende haben wir Glück gehabt und das HKW hat alle Skeptiker durch die Performance überzeugt. Im Haus sind alle glücklich, dass das gemacht worden ist.

Kooperation und Konfrontation im Parlament

Steinau: Viele kulturpolitische Förderungen werden im Haushaltsauschuss realisiert. Wie laufen diese Verhandlungen ab?

Kruse: Die Sitzung ist der eigentliche Haushalt. Zurzeit umfasst der Haushalt des Bundes 350 Milliarden Euro. In den ersten fünf Jahren meiner Tätigkeit mussten wir Mittel woanders wegnehmen, wenn wir bei der Kultur etwas drauflegen wollte. Das war unangenehm, haben wir aber auch hingekriegt. Zu Beginn meiner Tätigkeit dachte ich auch, einzelne Projekte detailliert vorstellen zu müssen, damit die Kollegen jedes einzelne Projekt verstehen. Das ist in dem Umfeld aber gar nicht möglich und ermüdet höchstens. Man erarbeitet sich eine gewisse Form von Vertrauen. In der Politik geht es immer darum Zustimmung zu finden. Es gibt auch Projekte, da muss die regionale Herkunft berücksichtig werden. Die Kulturförderung ist auf Unterstützung angewiesen, egal aus welcher Region in Deutschland man kommt. Von daher war es wichtig, viel in den Regionen zu machen. Dafür haben wir ein Denkmalschutzprogramm entwickelt, durch das wir im Jahr im Schnitt hundertfünfzig Projekte gefördert haben. Von der Dorfkirche über das kleine Rathaus, von einem Bahnhof bis zu einem Schiff. Das sind Dinge, die zu einer Zustimmung führen können. Auch die Clubförderung ist zum Beispiel über ganz Deutschland verteilt. Ebenso die Kinoförderung für kleine Programmkinos, in deren Rahmen wir die Leinwände mit jeweils 10.000 Euro digitalisiert haben. Bei solchen Projekten kann jeder nachvollziehen, dass die Förderung auch in seiner Gegend ankommt. Ich zitiere mal Bernd Neumann, der gesagt hat, „ich weiß nicht, was Du mit dem HKW willst, aber solang Du die anderen Sachen machst, ist es prima.“

Steinau: Ihre Zusammenarbeit mit dem SPD Haushaltspolitiker Johannes Kahrs ist weithin bekannt. Im Juni 2018 haben Sie eine eigene Pressemitteilung veröffentlicht, in der Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Hamburger Kollegen anlässlich der Haushaltsberatungen für das Jahr 2018 herausstellen. 3 Wie kam es zu der Zusammenarbeit und inwiefern haben Sie als K&K-Duo die Kulturpolitik des Bundes geprägt?

Kruse: Johannes Kahrs war auf Seiten unseres Koalitionspartners ebenfalls für den Etat zuständig. In der vorherigen Koalition mit der FDP war das Jürgen Koppelin, also auch K&K. Aber Johannes Kahrs, das muss man sagen, hat an der Umsetzung von Projekten Spaß gehabt, sodass wir sehr gut zusammengespielt haben. Als Typ ist Johannes Kahrs extrem verlässlich. Wenn man mit ihm etwas abspricht, wird das auch gemacht. Wir haben in einer Zeit die Zusammenarbeit begonnen, in der die Haushalte eine „Schwarze Null“ und Überschüsse aufwiesen. Das heißt es war auch mehr möglich. Das hat natürlich geholfen. Im Rückblick gibt es viele Projekte, die nicht realisiert worden wären, wenn wir sie nicht durch den Haushaltsauschuss geboxt hätten. Das ist ganz angenehm. Nur für die Visitenkarte sollte man nicht den Aufwand betreiben im Bundestag zu sitzen.

Steinau: In Hinblick auf die Zusammenarbeit im Parlament würde mich ihre Einschätzung der AfD interessieren. Hat die Partei die kulturpolitischen Debatten im Haus oder darüber hinaus verändert? In einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung zitiert Sie Jörg Häntzschel wie folgt: „Der Vorsitzende [des Haushaltsausschusses] leitet die Sitzungen, aber er hat ja nicht die Mehrheit. Er kann anmahnen, dass das, was wir vorschlagen, nicht völkisch genug ist. Dann nehmen wir das zur Kenntnis und arbeiten weiter." 4

Kruse: Die Bemerkung bezog sich auf den von der AfD gestellten Vorsitzenden des Haushaltsausschusses. Im Haushaltsausschuss zeigt sich keine große Wirkung, die es in anderen Ausschüssen sicherlich stärker gibt. Es gibt Reflexthemen wie die Europäische Union oder die Kosten der Flüchtlingshilfe, bei denen AfD-Politiker immer anspringen. Es ist richtig, dass sich die AfD auch das Kulturthema als Reizthema ausgesucht hat. Bei der Kunst haben Sie immer wieder den Effekt, dass sie nicht automatisch eingängig ist. Wir haben uns zwar inzwischen bei der Malerei dran gewöhnt, dass Picasso Frauen mit drei Brüste malte. Mit Alban Berg, dessen Schaffenszeit nun auch schon hundert Jahre her ist, können sie immer noch einen Konzertsaal leer oder zur Hälfte leer spielen. Das Ohr adaptiert da nicht so wie das Auge. Es gibt diese Effekte: „Ist das Kunst oder kann das weg?“, „Wieso gibt man so viel Geld dafür aus?“, „So einen Rothko kann ich auch malen“. Nein, kann man nicht. Aber man kann es ja mal versuchen. Es gibt die Vorstellung, dass Kultur immens teuer ist. Wenn man allgemein fragt, „wo würden Sie sparen?“ ist Kultur schnell dabei. Wenn man sich den Anteil an den Haushalten ansieht, dann können Sie alles wegstreichen, es bringt nicht so furchtbar viel. Wenn es um die lokalen Einrichtungen geht, sei es ein Museum, ein Theater, ein Konzerthaus oder Kulturelle Bildung, dann sagen die Leute aber nein, das nicht. Das hat auch damit zu tun, dass gewisse Bereiche unnötigerweise hochschwellig sind. Daran müssen wir arbeiten. Kunst fordert darüber hinaus Meinungen heraus. Das ist eine Domäne, um sich politisch zu fetzen, was grundsätzlich in Ordnung ist. Da spielt auch mit rein, dass Kunst und Kultur keinen Staatsauftrag haben, etwas zu propagieren. Weder in dem Sinne, dass immer die Deutschlandfahne geschwungen, noch dass sie immer verbrannt werden muss. Die Kunst soll eben frei sein. Diese Freiheit ist manchmal auch schwer erträglich. Damit spielt die AfD. Dann kommt immer das Argument, Projekte seien von Steuergeldern bezahlt. Also müssen sie auch die offizielle Meinung vertreten. Witzigerweise gelten die Medien als böse, wenn sie diese offiziellen Meinungen vertreten. Diese Debatte haben wir schon früher geführt. Die Qualität der Debatte ist nicht besser geworden. Die Angriffe sind schärfer. Und nicht mehr zufällig. Insgesamt hat die AfD hauptsächlich die Diskussionskultur im Bundestag verändert. Und zwar nicht zum Guten. Das ist leider so.

Der gesellschaftspolitische Auftrag des Haus der Kulturen der Welt

Steinau: Während Ihrer Zeit als Hauptberichterstatter für Kultur im Haushaltsausschuss sind Sie von vielen Akteuren angesprochen worden. So berichtet Jörg Häntzschel beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung über die Suche des HKW-Intendanten Scherer nach Geld: „Das endete mit einer politischen Allianz wie aus dem Märchen. Auf der Suche nach Geld sprach Scherer auch beim Hamburger CDU-Abgeordneten Rüdiger Kruse vor, der als Kulturverantwortlicher im Haushaltsausschuss sitzt. Der Ausschuss kann den Kulturetat nach Gutdünken erhöhen - mit Geldern für Projekte, die die Abgeordneten wählen. Als Scherer Kruse von dem Anthropozän-Vorhaben erzählte, war er begeistert, gab 3,3 Millionen und machte das heutige HKW damit erst möglich.“ 5 Wie kam aus Ihrer Sicht der Kontakt mit Bernd Scherer zustande?

Kruse: Mit den Jahren wurde die Ansprache immer mehr. Nehmen wir zum Beispiel das HKW. Damals hat Professor Scherer als Intendant des HKW seinen Antrittsbesuch bei mir gemacht. Er hat seine Situation geschildert und gesagt, das Haus sei unterfinanziert. Ich habe ihm geantwortet, „ja, das glaube ich Ihnen. Das sind fast alle Einrichtungen.“ In so einer Situation kann man darauf hoffen, dass der Etat mal um drei Prozent für alle erhöht wird. Ich habe Bernd Scherer gefragt, ob er eine herausragende Projektidee hat. Eine Idee, die mindestens national, aber möglichst international strahlt. Er war etwas überrascht, kam dann aber auf das Thema Anthropozän als eines neuen Erdzeitalters, in dem der Mensch zu einem zentralen Einflussfaktor auf die geologischen, biologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Das sei ein Thema, das in der internationalen Debatte langsam Fahrt aufnehme. Das fand ich spannend, weil das politisch gesehen eine hohe Implikation hatte. Das war der Ausgangsmoment, in dem ein möglicher politischer Auftrag für das HKW entstand. „Klärt das mal!“ Das ging natürlich nicht innerhalb von zwei Minuten. Aber das war in diesem Zusammenhang die erste Maßnahme, mit der wir gesagt haben, „arbeitet an diesem Thema, ihr hab ein Budget.“ Das waren damals 3,3 Millionen Euro – für das HKW sehr viel Geld. Es gab keine weiteren Vorgaben. Am Ende war das eine Debatte, die weltweit ausgestrahlt hat. Klassischerweise hätte man bei einem solchem Projekt einen Forschungsauftrag an Geologen vergeben, weil die Beobachtung menschlicher Umweltbeeinflussung ihr Fachbereich ist. Das HKW hat einen gesellschaftspolitischen Auftrag gewählt und eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Künstlern wurden beteiligt. Das war eine wirklich gute Geschichte und aus meiner Sicht war das der Initialpunkt, das HKW nochmal in eine andere Aufgabenstellung und Bedeutung zu bringen. Das ist im kleineren Maßstab ähnlich auch bei anderen Projekten erfolgt. Natürlich braucht es eine Auswahl. Es gibt immer mehr Kulturprojekte als gefördert werden können. Aber ich denke, dass wir in den zehn Jahren sehr vielen Projekten zum Durchbruch verholfen haben.

Steinau: In einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2014 bezeichnen Sie das HKW als „ideale[n] Ort, um der Gesellschaft einen Denkraum zu bieten.“ 6 Was macht das künstlerische Konzept des HKW ihrer Meinung nach so besonders?

Kruse: Das HKW ist als Haus ohne eigene Sammlung leer. Es ist kein Gebäude mit einer Ausstellung, die immer da ist, die man sich anschauen kann und die ab und zu durch ein neues Bild ergänzt wird. Das HKW ist auch darüber hinaus frei, weil es nicht ausschließlich auf Bildende Kunst ausgerichtet ist. Im HKW können genauso Diskussionen, Musik oder Theater stattfinden. Zu dieser generellen Offenheit kommt die Lage. Das HKW liegt in der Verlängerung des politischen Bandes aus Parlament und Bundeskanzleramt. Es gibt Blickbeziehung zwischen diesen Orten und das HKW ist fußläufig zu erreichen. Das erleichtert den Zugang sowohl für Bürger als auch für solche Bürger, die Parlamentarier sind. Auch wegen dieser Nähe war es meine Überlegung, die Möglichkeit zu schaffen, gerade dort gesellschaftsrelevante Prozesse anzustoßen, die quasi auch so nah an uns Parlamentariern dran und stärker in der Rückwirkung auf uns sind. Das war die Idee. Bernd Scherer ist auch absolut der richtige Mann, um das umzusetzen. Das hat er mit seinem Team dann auch getan. Von daher hat sich die Idee, aus dem HKW einen politischen Denkraum zu machen, positiv verwirklicht.

Steinau: Ich möchte auf ein weiteres Zitat aus einer Pressemitteilung aus dem Oktober 2015 verweisen, in der es heißt: „Unüblich für den politischen Betrieb wurde das Projekt völlig ergebnisoffen gestartet, es wurden keine Zielvorstellungen oder Richtlinien vorgegeben.“ 7 Sie haben schon angedeutet, dass diese Ergebnisoffenheit eine große Rolle gespielt hat. Sie haben das Projekt auch als erfolgreich beschrieben. Sie haben „geliefert“, was auch die SkeptikerInnen überzeugt hätte. Inwiefern war die ergebnisoffene Förderung eine Ausnahmesituation in diesem historischen Moment oder auch Ergebnis der räumlichen Lage des HKW? Oder ist das auch etwas, wovon Kulturförderung allgemein profitieren oder woran man sich orientieren könnte?

Kruse: Wenn es nach mir gehen würde, würde man das häufiger so machen. Es gibt in allen Bereichen eine Neigung dazu, Ausschreibungen immer präzise zu machen und mit gut gemeinten Faktoren zu belegen. Das halte ich nicht für richtig. Gerade im Kulturbereich. Die Leute wissen, dass ich Nachhaltigkeitspolitiker bin. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Gespräch über ein Projekt in der Tanzszene. Die Künstler haben vorgeschlagen, dass sie was zum Thema Energieeinsparung machen könnten. Das ist mir dann zu sehr Klischee wie Waldorfschule. Deswegen habe ich gesagt, lasst es. Es ist nicht nötig, dass ihr die Energiewende vertanzt. Die Nachhaltigkeit hat mehrere Facetten. Dabei ist die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Dialoges genau der Platz für Kunst und Kultur. Bei Einrichtungen wie einem Theater hat man einen Intendanten. Diesen Posten hat man besetzt, weil ein Konzept überzeugt hat. Dann lässt man die Künstler aber auch arbeiten. Irgendwann kann man feststellen, dass es nicht so gut gelaufen ist. Dann kann man sehen, ob man die Parameter ändert. Sonst sucht man sich eine andere Intendantin. Es ist keine gute Idee als Politik in jedes Stück reinzureden. Das ist auch künstlerisch anstrengend. Stellen Sie sich mal eine Theatergruppe vor, die sagt, „es ist 2016, wir brauchen noch drei Flüchtlinge auf der Bühne, sonst kriegen wir keinen Zuschuss.“ Das ist Unfug. Genauso tut die Politik auch gut daran, keinen direkten Bezug auf die Inhalte zu nehmen. Der Kunstbereich ist ebenso gut darin, etwas Skandalöses zu tun, also Dinge zu äußern und zu machen, die man in der Politik nicht machen würde. Dafür braucht es die Freiheit, die wiederum die Unabhängigkeit der Einrichtung ist. Und die sollten wir gewähren. Das fällt bürgerlichen Politikern leichter, weil die einen stärkeren Freiheitsbegriff haben. In der Überprüfbarkeit wiederum, wenn man Ergebnisse evaluieren möchte, macht es das schwieriger, weil man sich vorher nicht auf genaue Ergebnisse verständigt hat. So einen Prozess wie beim HKW Anthropozän-Projekt hätte man auch mit klareren Vorgaben umsetzen können. Das besondere des Prozesses bestand aber darin, dass jeder gemerkt hat, er ist frei, er ist offen. Vor allem ist er ergebnisoffen. Die angewandten Methoden haben auch zur Qualität geführt. Wenn das Projekt in die Hose gegangen wäre, wären die Kritiker auch gut aufmonitioniert gewesen.

Steinau: In einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung schreibt Jörg Häntzschel: „Anfangs litt auch das HKW an der Kurzatmigkeit des deutschen Kulturförderwesens.“ 8 Was hat es mit dieser Kurzatmigkeit auf sich?

Kruse: Die Kurzatmigkeit steht mit der Finanzierung der Einrichtungen in Zusammenhang. Es gibt ein Grundpersonal. Jedes Jahr muss geschaut werden, welches Projekt realisiert werden kann. Gemessen daran, wie teuer es ist, z.B. den Gropiusbau zu betreiben, sind die Etats sehr klein. Das ist eine irre teure Maschine und ein sehr kleines Ausstellungsbudget. Wenn man immer nur von einem Jahr zum nächsten planen kann, gibt es auch Schwierigkeiten gute Leute an das Haus zu binden. Diese wollen im November wissen, ob sie im Januar ihr Frühstück bezahlen können. Was wir öfters gemacht haben, ist Projekte auf drei oder vier Jahre auszulegen. Das ist ein Zeitraum, in dem auch ein neues Team aufgebaut werden kann, in dem auch die Einzelnen eine Perspektive haben. Gerade im kreativen Sektor ist es kein Nachteil, wenn man nicht vierzig Jahre an einem Haus ist. Aber es sollte schon länger als vierzig Tage sein. Dafür braucht es Möglichkeiten, nicht nur in einzelnen Einrichtungen, sondern grundsätzlich und bei mehreren. Ein weiterer Punkt ist das Outsourcing, das prinzipiell nicht verkehrt ist. In der Veranstaltungsbranche ist das hochprofessionell und ein Haus kann Ton- und Bühnentechniker gar nicht in der erforderlichen Qualität vorbehalten.

Steinau: Gerade die Veranstaltungsbranche leidet aktuell in der Pandemie.

Kruse: In guten Zeiten haben solche Firmen an Wochenenden im Sommer dreißig verschiedene Veranstaltungen. Im Augenblick gibt er vielleicht einen einzigen, vielleicht auch gar keinen Auftrag. Die sind nicht abgedeckt. Die Staatsoper wird ihr Personal bezahlen können, dafür sorgen wir schon. In der Veranstaltungsbranche ist das anders. Ein Bereich, in dem das auch anders ist, ist die freie Clubszene. Da läuft in Krisenzeiten immer Selbstausbeutung. Aber sie haben auch das Risiko, dass Leute sich entscheiden einen normalen Job anzunehmen. Die sagen sich, „ja okay, war eine schöne Zeit Kunst zu machen“, und dann sind sie weg. Da jetzt bei Corona umzusteuern ist ein schwieriger Prozess. Ein Künstlergeld, das auch gefordert worden ist, ist für mich eher die Notfallsituation. Eigentlich ist man gefordert, Betätigung zu schaffen, die auch jetzt funktioniert. Zum Beispiel, dass man im Sommer Open-Air-Veranstaltungen organisiert, was man auch noch viel stärker hätte machen können. Da hätte ich mir vorstellen können, zentral Geld bereit zu stellen und das lokal zu verteilen und zu sagen: „macht!“ Es gibt einzelne Musiker, die das getan haben. Die haben in Innenhöfe von Altenheimen und Pflegeeinrichtungen gespielt und wussten, dass die Bewohner auf ihren Zimmern sind, nicht raus dürfen, aber das Fenster aufmachen können. Auch das Bundesjugendballett als Einrichtung, die wir fördern, hat Tanzvorführungen mit Abstand organisiert. Das kann man sich angucken. Die Kreativität war da. Da muss man dann auch Haushalts- oder fördermäßig ein paar Lockerungsübungen machen.

Inhalte, Infrastruktur und Sanierungsrückstau

Steinau: Was wären neben dem HKW weitere Projekte, die Sie in diesem Zusammenhang nennen können?

Kruse: Da denke ich zum Beispiel an das Thema Digitalisierung für Museen. Es gibt eine Entwicklung bei der google & co. mit guter Technik kommen und alles digitalisieren. Dann entscheidet google, wie es gemacht wird und darf die digitalisierten Inhalte auch weiterverwenden. Man könnte sagen, das ist besser als nichts. Aber ein Museum hat auch eine eigene Vorstellung, wie es museumspädagogisch arbeitet. Da habe ich verschiedene Museen angesprochen und eine Gruppe zusammengestellt. Das größte war das Deutsche Museum in München, das kleinste das Fasnachtsmuseum in Konstanz. Insgesamt überlegten sechs Museen als Arbeitsgruppe, wie man als Museum Digitalisierung durchführen kann und mit welchen Zielen. Sie sind jetzt noch in der Abschlussphase. Das war sicherlich ein gutes Projekt, genauso wie das Projekt Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland. Was mir auch wichtig war, ist der Spielstättenprogrammpreis, der heute APPLAUS: Spielstättenpreis für besondere Livemusikprogramme heißt. Bei diesem geht es unter anderem auch um die Clubförderung, die oft vernachlässigt wird. Aus diesem Kontext ist auch das Reeperbahnfestival hervorgegangen, das heute ein weltweites Festival ist.

Steinau: Was sind kulturpolitische Erfolge oder Entscheidungen, auf die Sie gerne zurückblicken oder an die Sie sich erinnern?

Kruse: Das kann man in zwei Kategorien unterteilen. Steine und Inhalte. In Deutschland gibt es in vielen Bereichen einen Sanierungsrückstau. Denken wir zum Beispiel an die Verkehrsinfrastruktur. Das betrifft die Kulturinfrastruktur genauso. An dieser Stelle haben wir geholfen und Geld in die Hand genommen, um Gebäude herzurichten. Ein schönes Gebäude und Personal, das morgens das Licht an und abends wieder ausmacht, allein reichen aber nicht. Es muss auch etwas stattfinden. Da ging es dann um die inhaltlichen Programme und eine Vielzahl von Projekten, bei denen wir auf politische Rahmenbedingungen und Geschehnisse reagiert haben. Ich glaube, dass die Kultur für den gesellschaftlichen Diskurs eine große Rolle spielt. Es ist wichtig, dass wir mehr Bürgern den Zugang öffnen. Eingangs hatte ich über bürgerliche Erziehung gesprochen. Wenn man durch diese zur Kultur findet, dann ist das schön und gut. Es ist aber auch wichtig, dass es eine Annäherung und eine Demokratisierung der Kultur gibt. Dass Chancengleichheit besteht und Begegnungen ermöglicht werden. Dass alle Menschen mit Kultur in Kontakt kommen. In diesem Zusammenhang haben wir zusätzliche Programme initiiert, z.B. das Lausitzfestival, das jetzt gerade begonnen hat. Die Lausitz liegt in einer stark vom Strukturwandel geprägten Region. Das war sicherlich ein Highlight, ebenso wie wir dem Berliner Ensemble oder den Berliner Festspielen die Möglichkeit gegeben haben, sich im Rahmen einer Kunstproduktion mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. In einem Projekt haben wir auch eine Zusammenarbeit mit den deutschen Planetarien aufgebaut. Das sind Dinge, die einen anderen Ansatz fahren. Dann gibt es auch die großen Aufgaben des Bundes, z.B. innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Hier haben wir sowohl inhaltlich viel vorangetrieben als auch die kulturelle Infrastruktur ausgebaut.

Steinau: Ich habe eine Frage zum Sanierungsrück- bzw. Investitionsstau. Können Sie den beziffern oder gab es Planspiele, wie dieser für den Kulturbereich aussieht?

Kruse: Es gibt eine Erfassung für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ansonsten gibt es bundesweit keine Zahlen. Sie würden sicherlich in einen Abgrund schauen – je nachdem, was Sie anschauen. Wenn Sie alles, was auf Denkmallisten steht mitnehmen, ist es sehr groß.

Steinau: Ich kenne eine Zahl aus Bayern. Bezogen auf Kultur- und Universitätsbauten spricht der kulturpolitischen Sprecher Volkmar Halbleib der SPD-Landtagsfraktion von 500 Millionen Euro, die pro Jahr investiert werden müssten. Und das über zehn Jahre, um das Defizit auszugleichen. Das ist nur für Bayern.

Kruse: Damit sind Sie im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. Das ist absolut glaubwürdig. Wenn man sagt, wir wollen die Dinge auf den ordentlichen Stand oder die Lebenszeit von 50 Jahren bringen, klar. Das sind große Baustellen.

Wissenschaftstransfer und Transformationsprozesse des Kulturbetriebs

Steinau: Bereits vor der Corona-Pandemie hatten Krisen-Diskurse im Kunst- und Kulturbereich Konjunktur. Aktuell wird z.B. in einer DFG Forschungsgruppe u.a. an der LMU der These eines „Krisengefüges der Künste“ nachgegangen. Eine 'Krise' setzt sich aus einem Bündel unterschiedlicher Faktoren zusammen, die institutionelle Veränderungen auslösen. Dabei wird u.a. die These diskutiert, dass Krisendiskurse nicht nur eine destabilisierende, sondern vielmehr eine aktivierende und transformierende Funktion haben. Somit sind Krisendiskurse und ihre Ursachen nicht nur Symptom, sondern auch Motor der Veränderung institutioneller Blockaden und Stillstände. Aus ihrer kulturpolitischen Erfahrung: Welche Themen und Fragen fänden Sie interessant zu erforschen? In dem Zusammengang würde mich auch interessieren, wie sich eine engere Zusammenarbeit zwischen Kulturpolitik und Wissenschaft denken lässt.

Kruse: Letzteres auf jeden Fall, deswegen gibt es ja auch eine Förderung der Wissenschaft. Eine spannende Frage ist diejenige der Demokratisierung. In der Nachkriegszeit wurde z.B. in Frankreich unter André Malraux mit einer Kulturförderung in der Breite begonnen. Eine umfassende Demokratisierung der Kultur ist aber bis heute so nicht gelungen. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass nur eine geringe Prozentzahl der Gesellschaft eine kulturelle Elite bildet und der Rest doof ist. Da geht es auch um den zugrundeliegenden Kulturbegriff. Wenn man nur nach Musikern aus den letzten Jahrhunderten fragt, kann leicht vergessen werden, dass Kultur etwas ist, das ständig stattfindet. Das sieht man z.B. auch an einem Phänomen wie TikTok. Es ist interessant, welche Versatzstücke da aufkommen und wo Bezüge hergestellt werden. Was mich interessieren würde, ist die Frage, wie unabhängig von Herkunft und Familienverhältnissen das bestehende kulturelle Angebot besser genutzt werden kann. Wie bekommen wir es hin, dass beim Einzelnen keine Schranken aufgebaut werden? In Hamburg erlebt man unter regelmäßigen Konzertgängern auch so einen Reflex, dass das alles ganz schön, aber irgendwie auch zu teuer sei. Dann fragt man sich, wieso sie dann ins Konzert gehen. Es geht also um diese Abgrenzung von Kultur einerseits und Freizeit anderseits. Frau Grütters zitiert das auch immer: Kultur ist nicht die Sahne obendrauf, sondern die Hefe im Teig. Kultur ist nicht das Trennende. Überlegen wir mal, der Tag hat vierundzwanzig Stunden. Manche hätten gerne achtundvierzig, ich auch. Von den Stunden verschläft man einen Teil und der Rest ist das, was man Leben nennt. Ich würde das aber nicht portionieren wollen. Defacto ist es ja auch so, dass selbst wenn ich auf einem Traktor in der Landwirtschaft sitze, mir irgendetwas durch den Kopf geht. Das würde für die Forschung konkret bedeuten: Wo sind die Schrauben, um Angebote breiter zu machen? Und wie bekomme ich von Anfang an mehr Kreativität ins Leben?

Steinau: Im Rahmen des Cultural Policy Lab an der LMU setzen wir uns für ein Verständnis des Institutionellen Wandels ein. Das heißt wir untersuchen Transformationsprozesse auf der Ebene der normativen Grundlagen des gesellschaftlichen Verständnisses von Kunst und Kultur. Inwiefern haben Transformationsprozesse während Ihrer Zeit als Kulturpolitiker eine Rolle gespielt?

Kruse: Die Digitalisierung ist überall mehr als Glasfaser, irgendwas mit Video und ein schneller Rechner. Im Kunst- und Kulturbereich trifft die Digitalisierung doppelt zu. Einmal geht es darum, wie man selbst mit digitalen Prozessen arbeitet und damit umgeht. Und zweitens geht es um den gesellschaftlichen Prozess und auch Konflikt, der dahinter steht. Da spielt z.B. die Reflexion der Fragestellung eine Rolle, ob der Mensch oder die Maschine die Zukunft dominiert. Das verweist auf eine Funktion, die die Kunst insgesamt hat: Nämlich Prozesse zu verhandeln. Bei den Griechen war das Theater nur zu geringem Teil ein Ort der Erbauung. Es war der Ort, an dem Aktualitäten dargestellt und Konflikte ausgetragen wurden. Nehmen wir zum Beispiel das Feld Nachhaltigkeit. Da gibt es den themenbezogenen tagesaktuellen Teil. Das war in den letzten Monaten eindeutig der Klimaschutz. In diesem Zusammenhang sind künstlerisch entworfene Dystopien nicht unerheblich. Die finden auch in Mainstreamfilmen ihren Niederschlag, was nicht unwichtig ist, weil in ihnen eine Welt mit einem lebensfeindlichen Klima in fünfzig oder hundert Jahren vorgestellt wird. Auch kommerzielle Filme wie The Day After prägen unsere politische Debatte. Zur Funktion von Kunst und Kultur kann ich noch ein zweites Beispiel nennen. Ich empfehle Schulklassen auf die Frage, wie die Politik funktioniert, immer Richard III. Oft ist das Stück nicht bekannt. Dann frage ich, wer von Ihnen hat House of Cards gesehen? Da gehen die Hände nach oben. Meine Antwort zielt dann darauf ab, dass wenn man nicht so viel Zeit hat, mehrere Staffeln einer Serie zu gucken, eine zweieinhalbstündige Vorführung von Richard III denselben Effekt hat. Dann wissen Sie genau, was Politik ist.

Kultur ist transformationsbegleitend. Sie kann aber auch im Sinne von Avantgardeprozessen transformationsauslösend sein. Ich wehre mich aber dagegen, ihr eine therapeutische Dimension beizumessen. Kunst und Kultur sind als Auseinandersetzungsformen wichtig. Es ist wichtig, dass Übertreibungen stattfinden, damit wir in unserem politischen Handeln auch den Fokus richtig setzen. Der Kultursektor selbst verändert sich extrem. Auch die Produktionsformen verändern sich. Man kommt immer mehr zu kollektiven Produktionsformen. Wir haben auch in meiner Zeit im Haushaltsauschuss vier Produktionshäuser aus der Freien Szene zusammengeschlossen. Der Fokus auf Synergieeffekte und Kooperation hat funktioniert. Das kann man mit dem Plattformgedanken aus der Industrie vergleichen, der jetzt auch in der Kultur eingeführt wird.

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel für Transformation nennen. Früher gab es die Unterscheidung zwischen den Prinzipien der Bibliothek und des Marktplatzes. Bibliotheken waren dabei wie in Der Name der Rose ummauert. Nur wenige Mönche haben den Schlüssel und nur diese haben Zugang zur Wissensverwaltung. Wenn Sie etwas wissen wollen, müssen Sie dort hingehen. Der Marktplatz war dazu im Unterschied der Ort, an dem geschnattert und verhandelt wurde. Alle möglichen Informationen trafen zeitgleich aufeinander. Also zwei Extreme. Heute haben wir durch die Digitalisierung die Bibliothek im Smartphone. Die Prinzipien können jetzt zusammengehen. Da bekommen zum Beispiel die Archive, die früher schwer zugänglich waren, eine ganz neue Rolle. Klassischerweise werden die Archivalien einpackt und weggeschlossen. Auch in diesem Bereich ist eine riesige Transformation im Gange.

Steinau: In München haben wir aktuell eine Debatte über genau diese Frage der zukünftigen Ausgestaltung des Stadtarchivs. Es gibt Pläne, das Archiv vom Direktorium des Oberbürgermeisters in das Kulturreferat zu überführen und als Institut für Stadtgeschichte neu zu konzipieren.

Kruse: In Dresden gibt es ein interessantes Projekt, bei dem der Bund ausnahmsweise mal nicht seine Finger im Spiel hat. Es geht um ein Archiv der Avantgarden, das aus der Sammlung Egidio Marzona stammt. Dresden baut dafür ein Haus auf 4000m2 um. Wie der Name schon sagt, wird das kein klassisches Archiv und ich bin gespannt, wie dieser Anspruch umgesetzt wird. Es gibt gerade mit Künstlernachlässen die Tendenz, dass man einzelne Sammlungstücke an die Wand hängt und den Rest in den Keller stellt.

Kultur als vierte Säule der Nachhaltigkeit

Steinau: Aktuell wird z.B. im Rahmen der Kulturpolitischen Gesellschaft verstärkt über neue kulturpolitische Leitbilder nachgedacht. Ein solches Leitbild könnte die Nachhaltigkeit sein. Bereits vor zwanzig Jahren schrieb Bernd Wagner: „Eine ökologisch orientierte Kulturpolitik kann in dreifacher Weise einen verantwortlichen Umgang mit der natürlichen Mitwelt entwickeln helfen: durch Sensibilisierung für ökologische Denk- und Handlungsweisen; durch qualitative Zieldiskussion über sinnhaftes, gutes Leben und indem sie ihrer eigene kulturellen Praxis an Zielsetzungen von Nachhaltigkeit ausrichtet.“ 9 Sehen Sie Möglichkeiten, Kulturpolitik und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden ohne die Freiheit der Kunst zu gefährden?

Kruse: Ich habe 2014 in der FAZ einen Artikel über die vier Säulen der Nachhaltigkeit geschrieben.10 Wir haben eigentlich ein Dreisäulenmodell aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit. Ich plädiere seit einigen Jahren für die Aufnahme einer vierten Säule „Kultur“. Ich habe auch den Fonds Nachhaltigkeitskultur im Bundeskanzleramt initiiert. Dabei geht es aber nicht darum, dass politische Inhalte eines nachhaltigen Lebens pädagogisch in Liedtexte verpackt werden sollen. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass Dinge, die nicht von der Kunst reflektiert werden, nicht existieren. Zumindest nicht persistent. Die wesentlichen Themen werden immer in der Kunst reflektiert. Nachhaltigkeit ist einfach zu verstehen: Nicht mehr verbrauchen als nachwächst. Bisher gab es wenige große Menschheitsprobleme, die so einfach zu verstehen waren. Ist die Welt nachhaltig? Nein, ist sie nicht. Warum ist sie es nicht? Weil der Nutzen des nachhaltigen Handelns weder zeitlich, räumlich noch persönlich mit dem Moment der Handlung zusammenfällt. Das heißt, wenn ich mich heute nachhaltig korrekt verhalte, dann mag mein Verhalten verhindern, dass Bangladesch in dreißig Jahren untergeht. Ich glaube niemand in Deutschland will, dass Bangladesch untergeht. Es ist aber auch nicht die größte Motivation. Mit der Nachhaltigkeit gibt es nicht diesen Effekt, den man beim Anfassen einer heißen Herdplatte hat. Wenn man sich direkt verbrennt, wirkt das schnell. Es gibt einen Weg, gewisse Handlungen auch ohne direkte Belohnung zu verinnerlichen. Das machen wir auch bei grundlegenden Sachen so, nehmen wir zum Beispiel die Zehn Gebote. Alle Gebote, die sich nicht unmittelbar auf Gott beziehen, haben wir auch in unserer Gesetzgebung. Das tut man nicht oder jenes oder jenes tut man. Das verdeutlicht, dass es auch darum geht, eine Kultur für gewisse Handlungslogiken zu entwickeln. Unabhängig von der Religion kann in diesem Prozess auch die Kunst durch ihre Reflexionsfähigkeit eine Rolle spielen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten; eine davon zielt auf die Notwendigkeit eines Narrativs nachhaltigen Handelns. Solche Narrative zu schaffen, ist eine Hausaufgabe von kreativen Leuten. Die kulturellen Grundlagen der Nachhaltigkeit müssen aber z.B. auch in der Produktion gelebt werden. Nehmen wir die Filmproduktion. Man kann natürlich die Inhalte verändern, aber die bisherige Filmproduktion nachhaltig zu gestalten, ist auch eine große Aufgabe. Bisher ging es eher um Überwältigung und Wow-Effekte. Aktuell läuft bei den Berliner Festspielen das Projekt Down to Earth. Da geht es um die Frage, auf welche Art und Weise eine klimapolitische Wende unser eigenes „Betriebssystem“ tangiert. In der Umsetzung wurde Nachhaltigkeit soweit beachtet, dass abends keine Lichter angeschaltet wurden. Es wurde immer schummriger. Es wurde darauf geachtet, dass nicht geflogen wird und alle Druckerzeugnisse auf Altbestände gedruckt wurden. Natürlich hat nicht jeder zehntausend Plakate rumliegen. Der Prozess zeigt aber auf, dass es notwendig ist, die Produktion zu verändern. Da ist auch der Fördergeber gefordert, der Vorgaben macht und sagt „das müsst ihr“. So löst man auch den Impuls aus, nicht den Dieselgenerator, sondern den mit Ökostrom aufgeladenen Batteriespeicher für eine Veranstaltung zu nutzen. Es gibt solche Lösungen, die sind aber teurer. Das heißt, es braucht unbedingt einen Beitrag der Kulturpolitik zu mehr Nachhaltigkeit, jedoch ohne Freiheitseinschränkungen. Das Gute und das Richtige müssen ja auch nicht immer Gegenstand der Kunst sein. Es gibt vieles in der Kunst, das grausam oder pervers ist.

Steinau: Es gab von Michelle Müntefering in der Zeitschrift Politik&Kultur ein Plädoyer dazu, wie man den European Green Deal mit einer kulturpolitischen Agenda flankieren könnte. 11 Sie hat das als Cultural Deal bezeichnet, um einerseits auf EU-Ebene zu schauen, dass EU-Gelder auch in die Kultur- und Kreativwirtschaft fließen, aber auch, um auf der Narrativebene der europäischen Integration zu arbeiten. Wie stehen Sie zu der Verbindung von European Green Deal auf europäischer Ebene mit einer eigenen Kulturpolitischen Agenda? Oder in der FAZ gab es von Hans Ulrich Obrist die Idee, den unter Roosevelt sehr prominenten New Deal aufzugreifen. 12

Kruse: Der New Deal hatte in der Tat eine Kulturkomponente. Damals wurden gezielt Aufträge an Künstler vergeben. Es hätte auch Leni Riefenstahl einen Zuschlag erhalten. Dieser stark propagandistische Aspekt entsprach in gewisser Weise dem Zeitgeist. Was ich richtig finde ist, dass erkannt wurde, „wenn uns unsere Künstler verrecken, ist die Gesellschaft hinterher auch nicht schön. Deswegen geben wir ihnen lieber auch etwas zu tun.“ Ich würde aber auch immer sagen, wir entscheiden nicht, was gemalt wird. Im New Deal wurde viel Kunst im öffentlichen Raum realisiert. Wenn der Staat Vorgaben macht, wird es schnell langweilig. Dann sieht man an jeder Ecke einen Arbeiter, der einen Staudamm baut. Das mussten die Menschen in der DDR, der Sowjet-Union oder in Hitlerdeutschland ertragen. Das sollten wir nicht nachmachen. Worüber man nachdenken könnte, wäre, Gastronomen z.B. zu erlauben, zusätzliche Grünflächen zu nutzen, Künstlern zu erlauben, öffentliche Wände zu bemalen. Oder wir stellen auch das Material zur Verfügung. Wir entscheiden aber nicht über das Motiv. Den Nerv muss man auch haben. Ich wäre sehr für einen Cultural Deal der EU. Allerdings nicht als Beiwerk, um die Nachhaltigkeit zu vertanzen. Nach der Art, „ihr habt das Green Deal Programm, gebt uns Geld, dann machen wir Ballett daraus.“ Nein, eher in der Art, dass wir Geld geben, damit Ballett gemacht werden kann. Innerhalb der Europäischen Union könnte man schauen, welche Probleme es EU-weit gibt, kulturelle Einrichtungen zu erhalten. Gerade in den Ländern, die jetzt massiv ihre Haushalte runterfahren mussten. In Spanien, Italien oder Griechenland ist die Lage ja noch einmal eine Stufe dramatischer als in Deutschland. Die Zusammenarbeit der letzten documenta mit Athen war z.B. ein echtes europäisches Projekt. Die EU wäre gut beraten, wenn sie innerhalb des 750-Milliarden-Hilfsprogramms auch eigenständige Programme zur Erhaltung des Kulturguts oder im Bereich der kulturellen Zusammenarbeit auflegte. Wir haben in Europa die Infrastruktur, das Rückgrat dafür. Wir haben z.B. die künstlerischen Akademien. Ich wäre aber für ein eigenständiges Programm. Der European Green Deal ist ja inzwischen auch ein kleineres Programm als eigentlich geplant. Jetzt zu sagen, die Kultur beansprucht davon nochmal einen kleineren Teil, erachte ich nicht für sinnvoll.

Steinau: Wie funktioniert Kulturförderung, wenn man so weit weg ist von den AkteurInen? Das ist auch eine Frage, die den Föderalismus in Deutschland betrifft.

Kruse: Die Kompetenz liegt immer lokal. Nehmen wir beispielsweise ein Programm, das wir im Haushaltsauschuss aufgelegt haben: Das Programm Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland. Die meisten Orchester sind von Kommunen getragen. In dem Programm geht es darum, dass eine Kommune bereit ist, z.B. ein Sinfonieorchester als kulturelle Grundversorgung bereit zu stellen. Der Schritt von der Grundversorgung zur Exzellenz kostet noch einmal richtig Geld. Da kommt die Frage auf, ob der Aufwand für die Kommune vertretbar ist. Da geht es zum Beispiel um andere Programme oder neue Musiker, die den Schritt zur Exzellenz ausmachen und dann national oder international ausstrahlen. Da kommt eine Kommune leicht an ihre Grenzen. Selbst eine Million mehr für ein Orchester ist in diesem Zusammenhang viel Geld. Da ist es leicht verständlich, wenn man sagt, lasst die Kirche im Dorf. Für exzellente Orchester muss man eben nach Berlin oder München fahren. In der Fläche wird so aber Potential verspielt. Da setzt der Bund dann eigentlich ganz clever an. Die Basiskosten trägt eine Kommune. Die Förderung des Bundes kommt dann oben drauf. Mit dieser kann man dann ein paar Jahre lang zeigen, welche Qualität im Orchester steckt. In der Art könnte auch die EU agieren. Italien ist zum Beispiel ein Land mit unzähligen kleinen Opernhäusern, die man erhalten sollte. Das könnte mit EU-Geldern über Spielpläne oder Tourneen ermöglicht werden. Dann kommt das Geld lokal an, was ich für ein vernünftiges Zusammenspiel halte. Das führt auch nicht dazu, dass alles zentral stattfindet. Wie gesagt ist der Bund in einer komfortablen Rolle. Es ist wichtig, dass auch kleine Kommunen ihren eigenen Kulturetat haben. Das ist Subsidiarität. Es geht um ein Ineinandergreifen und Zusammenspiel der Ebenen. Im Vergleich zur Bundesförderung ist die EU nur einen Schritt weiter.

Steinau: Die Projekte beim HKW leben ja auch davon, die Welt nach Berlin zu holen und international in Austausch zu treten. Wie funktioniert das unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten? Das Projekt Down To Earth hat ja komplett auf Strom und Flugreisen verzichtet. Angenommen wir wären zehn Jahre weiter: Könnte man das Anthropozän-Projekt eins zu eins wiederholen? Oder müsste das Projekt anders organisiert werden?

Kruse: Sicherlich wird man durch die Destruktion durch Corona auch im Kulturbereich ein Stück mehr auf digitale Möglichkeiten setzen. Trotzdem bleibt in allen Bereichen die persönliche Begegnung extrem wichtig. Das ist im geschäftlichen Bereich so. Das ist im politischen Bereich so. Und das ist auch im Kulturbereich so. Ich find das auch vertretbar. Es wird auch in Zukunft in verschiedenen Bereichen maßgebliche Persönlichkeiten geben, die es sich zu erleben und nach Berlin zu holen lohnt. Das ist legitim. Und diese Menschen werden immer einen höheren CO2-Fußabdruck haben als wir für den Durchschnitt in einer nachhaltigen Gesellschaft gebrauchen können. Das gilt genauso für unsere Bundeskanzlerin. Wenn man das alles wegstreicht, dann wird das Ganze kleinkariert. Durch die Corona-Einschränkungen musste der Kunstbereich auf vieles, was man sonst so gemacht hat, verzichten. Viele Künstler sind heute hier und morgen in New York und übermorgen in Hongkong. Weniger aus touristischen Gründen, sondern weil es einfach ihr Job ist. Das ist aktuell nicht möglich gewesen. Durch die Einschränkungen sind auch andere Formen entstanden. Es wird zu sehen sein, was wirklich eine Bereicherung oder Entlastung ist. Ich denke, dass wir am Ende beim gleichen Effekt bei dauerhaft weniger Reisekilometern rauskommen. Aber nicht keine. Außerdem setzen wir darauf, dass durch Innovationen der Flugverkehr klimaneutral wird. Dafür gibt es technische Ansätze, da muss man positiv denken. Sonst ist das sowieso nicht zu schaffen. Mehr Wasserstoff für die Kunst.

Steinau: Im Rahmen des Cultural Policy Labs an der LMU ist es uns ein Anliegen, Studierenden zusätzlich zu ihrer exzellenten wissenschaftlichen Ausbildung ein Verständnis kulturpolitischer und -unternehmerischer Praxis zu vermitteln. Welche Tipps für eine erfolgreiche Karriere in Kulturorganisationen würden Sie Studierenden mit auf dem Weg geben?

Kruse: Hören Sie sich jeden Ratschlag an und machen Sie Ihr Ding. Wenn man im Kulturbereich nicht offen ist, dann weiß ich nicht wo man das dann sein sollte. Vernachlässigen Sie das Sicherheitsstreben. Eines meiner Lieblingszitate ist aus Macbeth: „Security is mortals’ chiefest enemy.“ Das Streben nach Sicherheit lähmt so vieles. Und am Ende gibt es sie sowieso nicht. Das soll nicht dazu ermutigen, im Winter ohne Dach überm Kopf leben zu wollen, jedenfalls nicht in unseren Gefilden oder solange der Klimawandel noch nicht ausgebrochen ist. Einen gewissen Realismus braucht es immer. Wenn man das, was man zum Zeitpunkt des Studiums tut, für richtig und interessant hält, dann wird es einen auch durch andere Aufgaben führen. Ich war mal bei einer Veranstaltung mit Jean Neumeier, dem Hamburger Ballettintendanten. Er wurde gefragt, wie lange man denn so tanzt, wenn man als Kind angefangen hat. Er antworte bis dreißig. Die Interviewerin meinte dann, „das ist ja schrecklich, mit dreißig Jahren dann vor dem Nichts zu stehen“. Woraufhin Neumeier fragte, wer von Ihnen hat denn mit dreißig genau das getan, was er machen wollte? Die Anschlussverwendung einer Ausbildung betrifft viele Bereiche, auch Sportler. Manchmal gehen Lebensabschnitte aber auch zu Ende und man findet eine Anschlussaufgabe, die einen interessiert. Jean Neumeier ist beim Ballett geblieben, aber das ist nicht bei jedem so. Heutzutage findet man auch in jedem größeren Vorstand eines Wirtschaftsunternehmens Leute, die aus dem Kulturbereich kommen. Die bringen ein ganz anderes Denken in die Abläufe, was wichtig ist.

Steinau: Lieber Herr Kruse, vielen Dank für das Gespräch.


  1. „Kulturpolitik. Formen und Bereiche der Bundeskulturpolitik im föderalen Staat“, Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 034/15 des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, S. 4. ↩︎

  2. Oliver Scheytt, „Blick zurück nach vorn – Von der neuen zur aktivierenden Kulturpolitik“, in, Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 113, II/2006, S. 29-37. ↩︎

  3. Pressemitteilung: „Kahrs (SPD) / Kruse (CDU): Weitere 49 Millionen Euro aus Berlin für Hamburger Kulturprojekte“ – Rüdiger Kruse MdB, 27. Juni 2018. ↩︎

  4. Jörg Häntzschel, „Nicht völkisch“, in, Süddeutsche Zeitung vom 30. Januar 2018. ↩︎

  5. Jörg Häntzschel, „Das Ministerium für Ideen“, in, Süddeutsche Zeitung vom 10. März 2016. ↩︎

  6. Pressemitteilung: „Allianz für die Kultur – Der Kulturetat des Bundes erhöht um 90 Millionen Euro“ – Rüdiger Kruse MdB, 6. Mai 2014. ↩︎

  7. Pressemitteilung: „Projekt „100 Jahre Gegenwart” im Haus der Kulturen der Welt gestartet“ – Rüdiger Kruse MdB, 1. Oktober 2015. ↩︎

  8. Jörg Häntzschel, „Das Ministerium für Ideen“, in, Süddeutsche Zeitung vom 10. März 2016. ↩︎

  9. Bernd Wagner, „Nachhaltige Kultur? Aufgaben einer ökologisch orientierten Kulturpolitik“, in, Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 97, II/2002, S. 34. ↩︎

  10. Rüdiger Kruse, „Kulturelle Nachhaltigkeit: Ein Vierpunkteplan für die Menschheit“, in, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Oktober 2014. ↩︎

  11. fMichelle Müntefering, „Warum nicht zwei Schritte nach vorne? Ein Plädoyer für eine europäische Öffentlichkeit“, in, Politik&Kultur, 07/08 2020. Das Zitat lautet: „Mein Plädoyer: Nutzen wir diese Chance. Ergänzen wir den Recovery Fund und den Green Deal durch einen Cultural Deal, um einen Raum europäischer Öffentlichkeit und Kultur zu schaffen. Reparieren wir nicht nur den Schaden, sondern schaffen wir etwas Neues. Wenn uns das gelingt, könnte Corona der entscheidende Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Integration werden.“ ↩︎

  12. Hans Ulrich Obrist, „Ein neuer New Deal für die gesellschaftliche Erfindungskraft“, in, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. April 2020. ↩︎

Rüdiger Kruse und Christian Steinau

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